Einmal die Escape-Taste, bitte (2. Akt)

 

Vor einigen Tagen kam die Erkenntnis. Nach meiner Rückkehr aus Shantiniketan und ersten Ausflügen durch Kalkutta weiß ich nun, woher die Anspannung rührt. Es ist das indische Stadtleben, ich konkretisiere: das indische Riesengroßstadtleben und alles, was damit verbunden ist. Es ist aufregend und vielseitig und spannend, das definitiv, aber über einen Zeitraum von mehreren Wochen ohne Pause schwer zu ertragen. Das, was mir tatsächlich am meisten zu schaffen macht, ist der Lärm, dieser permanente, über ein erträgliches Maß hinausgehende Geräuschpegel. Das englische Wort "noise pollution" trifft es in dem Fall sehr viel besser als das deutsche Äquivalent. Natürlich ist es auch Belästigung und lästig, aber vor allem verschmutzt der Lärm den Alltag hier. Alles könnte so viel schöner sein, wäre es einfach um einige Dezibel ruhiger. Und so oft ist es so unnötig. Millionen-Metropole, Platzmangel und territoriale Kämpfe hin oder her. Dieses Hupen und Sich-Bemerkbar-Machen, immer und überall. Selbst auf leeren Straßen oder an roten Ampeln und im Stau, wenn es einen offensichtlichen Grund für den Stillstand gibt. Es ist verrückt. Und diese Geräusche sind in Kalkutta, wie zu Beginn meiner Reise einmal beschrieben, kein An- und Abschwellen mehr, sondern ein kontinuierlicher Teppich mit Schallpegelpitzen, die mit Wucht auf das Trommelfell treffen. Und wenn sich einmal so etwas wie Ruhe einstellt, finden die Menschen Mittel und Wege, diese alsbald zu beenden. Wie zum Beispiel kürzlich auf der Dachterrasse eines eigentlich sehr schönen Cafés (siehe Foto). Kaum erscheinen die ersten Gäste, wird die Musik aufgedreht, vorzugsweise Eurodance-Verwandtes, indische Popmusik oder Elvis, und das in einer Laustärke, die alle natürlichen Umgebungsgeräusche schluckt und jedes Gespräch unmöglich macht.

Punkt zwei, und es tut mir so leid, das sagen zu müssen, weil es das Bild auf das Land verzerrt  und so viel Positives ausblendet, aber ich war in meinem Leben noch nie so oft angeekelt. Abgesehen von den Gestankschwaden, die einen mehrmals am Tag unerwartet erwischen, und den zerquetschten Tieren auf der Straße bezieht sich das hauptsächlich auf die indischen Männer. Denen es, um es einmal stereotypisch zu umschreiben, an den einfachsten Benimmregeln fehlt, die überall hinurinieren, ganz so als müssten sie wie Hunde ihr Revier markieren, die ungeniert in ihrem Schritt herumwerkeln, die sich in den Ohren herumpulen, kurz bevor sie einem die soeben gekaufte Banane in die Hand drücken, deren Zähne von Kautabak und Betelnüssen gelbschwarzbraun verfärbt sind, die zähen Schleim aus den entlegendsten Winkeln ihres Körpers ziehen, was bisweilen in einem Röcheln endet, das so klingt, als würden sie im nächsten Augenblick vomieren, die in Fußballermanier derart kräftig neben einem ausschnauben, dass man reflexhaft beseite springt, um nicht einen Teil des Auswurfs abzubekommen, deren Gentleman-Attitüde gen null tendiert und die die Frauen ungeniert mit ihren Blicken taxieren, milde ausgedrückt.

Gestern Nachmittag dann, nach einem ohnehin schon eher solala als guten Tag, weil erst ein Interviewpartner murrte und dann meine Kamera (womit ich aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit und des Staubes schon viel früher gerechnet hatte, von daher sollte ich eigentlich froh sein), kam der Höhepunkt, als kurz vor dem Büro wie aus dem Nichts ein Mann vor mir auftauchte und mit zombiehaft ausgestreckten Armen direkt auf meine Brüste zusteuerte, sie zum Glück nicht richtig zu fassen bekam, weil ich nach hinten auswich, aber nicht von mir abließ und es erneut versuchte. Der Griff ging zum Glück ins Leere. Die Verkäuferin, die neben mir auf der Straße saß, fing an, ihn anzuschreien, ein anderer Mann eilte herbei und schob ihn von mir weg, fragte, ob alles okay sei. Nein, war es nicht. Weit entfernt davon. Bislang waren alle Mann-Frau-Vorfälle immer hart an der Grenze gewesen, weil sich schwer abschätzen ließ, ob diese oder jene Hand mich bewusst streifte oder ob es dem Gedränge geschuldet war. Aber das nun war eindeutig.

Ich freue mich wirklich über die Chance, hier zu sein und auch über meine Recherchereisen, die noch anstehen, aber ebenso sehr freue ich mich gerade auf das Indien-Ende. 15 Tage noch, dann werde ich mich zielgerichtet an einen sri-lankischen Strand begeben, mir eine Hängematte suchen und mir mit einem guten Buch in der Hand die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Und in dieser Position werde ich bis zu meiner Rückkehr nach Deutschland verweilen. BAM!

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