Vorfreude, schönste Freude

Tee und Grün, soweit das Auge reicht

Wir schreiben den Abend des 28. November 2017 und in meinem Hotelzimmer in Munnar sitzend zähle ich die letzten 24 Stunden Indien rückwärts. In dem abgelegenen, von Teeplantagen umgebenen Ort im indischen Bundesstaat Kerala halte ich mich seit Samstag für meine offiziell letzte Recherche auf. Nicht, wie man annehmen könnte, über die indische Teeproduktion oder Teekultur, aber über ein zumindest indirekt Tee-verwandtes Thema, das sich mit den Kindern der Plantagenarbeiter befasst, die aufgrund inzestuöser Verflechtungen oder mangelnder medizinischer Versorgung mit Behinderung auf die Welt kamen und die in einer Schule unweit Munnars die bis dato fehlende Bildung erfahren. So weit, so interessant, so gut. Nur lief wieder einmal, ich hatte es dank Vorerfahrung nicht anders erwartet, einiges anders als angenommen. So anders, dass die ursprüngliche These nicht mehr aufgeht und ich nun schauen muss, wie ich die Geschichte drehe, damit sie dennoch Sinn ergibt. Ein, zwei Ideen zur Lösung des Problems habe ich bereits im Hinterkopf und werde mittels frischer Hirnzellen, da bin ich durchaus zuversichtlich, einen neuen geeigneten Ansatz finden. Nur nicht mehr heute und vermutlich auch nicht in den kommenden zweieinhalb Wochen, denn diese sind größtenteils dem Urlaub gewidmet. Noch eimal schlafen und es geht von den Süden in den Süden, nach Sri Lanka, um genau zu sein. Mit mehr Sonne, mehr Meer und weniger bis keiner Arbeit.

Top-Aussicht am Top Station View Point

Ein erstes, zartes Urlaubsgefühl stellte sich bereits am Wochenende ein, da ich den Sonntag für einen Ausflug in die umliegende Natur nutzen konnte. Trotz Nebel und Regen und Wind und Kälte (Munnar liegt auf über 1.500 Metern Höhe, was klimatisch tatsächlich einen erheblichen Unterschied macht und mich mehr als dankbar über die im Gepäck befindliche Daunenjacke stimmte) war der Tag wunderschön. Nicht zuletzt auch wegen der Fröhlichkeit meines Rikscha-Fahrers, der mich mit strahlendem Lächeln und Engelsgeduld eine der Tourirouten entlang bis zu einem an diesem Tag wenig aussichtsreichen Aussichtspunkt fuhr. Der im Übrigen in Tamil Nadu lag, der Bundesstaat, in dem meine Indienreise vor drei Monaten begann. Der Kreis hat sich geschlossen.

Heute, als ich den Fuß aus dem Auto des Fotografen setzte, der mich auf den Projektbesuch begleitete, eigentlich schon nach Ende des Termins, als wir uns von allen Ansprechpartnern verabschiedeten, folgten dann auch die finale Erleichterung und die beginnende Entspannung. Nicht weil alles in Indien so furchtbar gewesen wäre, ganz und gar nicht, sondern weil ich merklich eine Pause brauche. Die Luft ist raus, die Kraft aufgezehrt. Und der Akku verlangt nach einer Sonnen- und Strandsteckdose.

Imposante Eukalyptusbäume

Was neben den wenigen Möglichkeiten zur Rast nicht unwesentlich dem Umstand geschuldet ist, dass die Monate in Indien so oft auch eine Zeit des Zurücksteckens und Entbehrens waren. Seien es Luxusbedürfnisse wie guter Kaffee, Nützliches wie eine stabile Internetverbindung oder bedeutende Dinge wie die eigene Freiheit. Abgesehen von Letzterem waren das meiste kleine Details, für sich genommen banal und grundsätzlich erträglich. Auf Dauer und Stück für Stück jedoch bauen sie sich immer weiter auf: zu einem zunächst vagen, dann aber immer deutlicheren und vordergründigeren Gefühl des Vermissens, das sich irgendwann nicht mehr ignorieren lässt.

Nun ist das Vermissen als solches, sofern sich ein Ende absehen lässt, ja erst einmal nichts Schlimmes und mitunter durchaus heilsam, da es einen selbstverständlich Erscheinendes wieder stärker wertschätzen lässt. Aber als Dauergefühlszustand eignet es sich dann doch eher weniger. Vor allem, wenn es unabhängig von Indien ohnehin schon ein ständiger Begleiter ist. Aus diesem Grund freue ich mich am Ende dieser Reise auf die simple Bedürfnisbefriedigung einiger mal mehr, mal weniger großer Banalitäten. Als da wären zum Beispiel: ein Glas guter Rotwein (die Prioritäten sind klar gesetzt), richtiger Käse, eine gute Pizza mit knusprigen Boden, dunkle Schokolade mit mehr Kakao als Zucker, eine Waschmaschine und richtig saubere Wäsche, warmes Wasser aus dem Hahn und ausreichend Wasserdruck für eine ausgiebige Dusche, mein Bett mit warmer Decke und mit Katzentier darin. Und selbstverständlich freue ich mich auf euch alle, die ihr meine Eskapaden so ausdauernd verfolgt, mein Gejammer ertragen und an meinem Leben trotz zigtausender Kilometer Distanz teilgehabt habt. Ich freue mich sehr, euch bald gesund und munter wiederzusehen. In diesem Sinne ...

Auf bald, Indien!
Und auf bald, ihr Lieben!

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