Das Kakerlaken-Komplott

Welchem Karma-Gott bin ich wohl auf die Füße getreten, dass mich das Leben so oft und so wiederkehrend mit Ungeziefer straft? Letztens erst Motten in Berlin, und nun Kakerlaken in Kalkutta. Die unangefochtene Nummer eins aller Tiere, mit denen ich am besten zu ängstigen und zu vergraulen bin. Anfang dieser Woche nach der abendlichen Heimkehr in meiner Wohnung gesichtet.

Dabei war ich zunächst ganz fröhlich gestimmt, weil mich mein erster Gang ins Badezimmer führte und ich dort auf meinen neuen, liebgewonnenen Mitbewohner, einen kleinen asiatischen Hausgecko, traf. Als ich jedoch das Bad verließ und das Licht auch im restlichen Teil der Wohnung anschaltete, musste ich erkennen, dass es vielleicht einen Grund gab, warum er sich so gern bei mir aufhielt. Und der war nicht ich, sondern die gigantomanischen Kakerlaken, die – bislang von mir unbemerkt – in der Wohnung residieren (oder sie zumindest frequentieren) und die nun vor meinen Füßen vorbeihuschten. Geckos essen, wie ich am folgenden Tag lernte, auch Kakerlaken, was ich mir im direkten Größenvergleich nur schwer vorstellen kann und was ich daher doch gern einmal live sehen würde. Aber das ist ein anderes Thema.

Blick aus dem Küchenfenster

Mein schabenfressender Freund

Die zwei Exemplare, die ich in meinem Sichtfeld ausmachen konnte, bewegten sich mit einer ausgesprochenen Gelassenheit zwischen meinen Füßen und dem Eingang zur Küche. Mehr brauchte ich nicht sehen, um in Panik versetzt meinen Nachbarn anzurufen, um von der Entdeckung zu erzählen und ihn zu fragen, ob es denn häufiger Kakerlaken in der Wohnung gebe. Natürlich in der stillen Hoffnung, dass er anbieten würde vorbeizukommen. Vielleicht hörte er den panischen Unterton, in jedem Fall verstand er den Wink und eilte zur Hilfe. Nicht jedoch, ohne spöttisch zu bemerken: „Du reist um die Welt und hast Angst vor Kakerlaken?!“ Ich hatte ähnliches erwartet, aber das war mir in dem Moment ziemlich egal. Angst ist Angst. Ohne großes Zögern griff er (während ich innerlich aufschrie und an die vielen kleinen Schaben-Babys als Mitbringsel dachte) nach meinen Badelatschen und schlug nach Kakerlake Nummer eins. Erfreulicherweise erwischte er sie nur am Hinterteil, so dass sie in Richtung Balkontür und Dunkelheit verschwand. Die zweite Kakerlake war nicht mehr auffindbar. Mit einem gönnerhaft wirkendem Lächeln des Unverständnis und einem „Keine Sorge, die tun dir nichts“ verließ er die Wohnung.

Leider machte dieser überaus wertvolle Hinweis die Lage nicht besser. Denn es fehlte eine Kakerlake. Zum Glück, muss ich fast sagen, ließ sie nicht allzu lange auf sich warten und tauchte kurze Zeit später erneut in der Küche auf. Also dasselbe Spiel noch einmal von vorn. Diesmal hatte ich in weiser Voraussicht meine Schuhe entfernt. Mein Nachbar fand ein Rohr als Ersatz, schlug zu, die Kakerlake fiel auf den Rücken, lebte aber und zappelte, er erwischte sie bei den Fühlern (mein Gesichtsausdruck in diesem Moment war ganz sicher unbezahlbar) und schmiss sie vom Balkon. Wieder verabschiedete er sich. Wieder derselbe Spruch. Ich biss mir auf die Zunge und erwiderte nichts.

Meinen Vorsatz befolgend, mich nicht mehr zu früh zu freuen, begab ich mich zur abschließenden Observation zurück in die Küche und sah, dass der Spaß an diesem Abend noch nicht vorbei war. Denn mitten auf der Arbeitsplatte spazierte eine dritte Schabe. Woher auch immer die so plötzlich kam. Ich, da ich nicht noch ein drittes Mal anrufen und mich endgültig für verrückt erklären lassen wollte, suchte krampfhaft nach möglichen Gefäßen, die ich über dieses Tier stülpen könnte und entschloss mich, da Glas und Co. zu klein waren, für eine mittelgroße Schüssel. Beim ersten Fangversuch machte sie einen Satz nach vorn und verharrte eine Weile zwischen Wasserkocher und Wand. Als sie sich wieder in Bewegung setzte, bekam ich sie schließlich in der Nähe des Toasters zu fassen. Und dort, muss ich zu meiner Schande gestehen, weilt sie immer noch. Unter der Schüssel. Gestern (oder war es vorgestern) hörte ich noch ein klägliches Zirpen. Aber ich vermute, dass sie mittlerweile in den Kakerlaken-Himmel aufgestiegen ist und hoffe inständig, durch diese Untat nicht vollends in Karma-Ungnade gefallen zu sein.

Meine Straße von oben

Altes Auto mit Hunden unbestimmten Alters

Seit diesem Abend jedenfalls merke ich, dass ich den Zeitpunkt des Nach-Hause-Kommens maximal hinauszögere und die Tür mit einem unguten Gefühl aufschließe. Jedes Mal in der Angst, dahinter das große Krabbeln zu entdecken. Und selbst wenn ich es nicht entdecke, sind die Ohren dauerhaft gespitzt und ein Auge schielt ununterbrochen auf mögliche Bewegungen. Da ich in meinem Leben bereits das Vergnügen hatte, mit Kakerlaken zu hausen, bin ich unschlüssig, ob ich – ob dieses Wissens – in der Wohnung bleiben kann. Es gibt Vor- und Nachteile, die ich permament abwäge. Fischmarkt, knurrige Straßenhunde, Staub, kaltes Wasser, Kakerlaken und Unwohlsein auf der einen Seite. Sicherheit, verkehrsgünstige Lage und kaum Kosten auf der anderen. Vor allem der letzte Punkt ist mit fehlender Kreditkarte nicht unerheblich. Dennoch würde ich des eigenen Seelenfriedens zuliebe vermutlich zum Umzug tendieren. Sollte ich jedoch wie derzeit angepeilt herumreisen, wäre ich die kommenden Wochen kaum noch in Kalkutta. Ein Umzug würde also nur unnötiges Doppelt-Miete-Zahlen bedeuten. Ping-Pong im Kopf.

Morgen entfliehe ich dem Ganzen erst einmal für ein paar Tage nach Bolpur-Santiniketan, der zweiten Heimat von Autor Martin Kämpchen, der in der Region seit den 1980er Jahren Menschen des Santal-Stammes unterstützt. Ich hatte bislang nichts zum Thema Dorfleben oder Schutz von Kulturerbe geplant, aber das Treffen hat sich spontan ergeben. Und da sich in puncto Geschichtenverkaufen bislang ohnehin nichts getan hat und Warten mich auch nicht weiterbringt, packte ich die Gelegenheit beim Schopfe. Und die Vorfreude ist groß. Der Ausflug und die Landluft bringen sicherlich etwas Ruhe in den Kopf zurück.

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