Ein Quäntchen Luxus

Wenn Chennai das Schonprogramm war, ist Pune der extra-schonende Wollwaschgang. Das Ramee Grand Hotel, in dem wir für eine knappe Woche logieren, erscheint wie ein luxuriöser Mikrokosmos, und ich, die ich mit überbordendem Tamtam wenig anfangen kann, wie ein Fremdkörper. Vor allem, wenn ich neben Geschäftsmännern in Anzügen und Grandes Dames in Saris wie ein Knallbonbon in jamaikafarbener Hose und knallroter Funktionsjacke das Haus verlasse. 

Blick ins Hotel-Restaurant

Die Hotelangestellten wuseln wie kleine Lemminge in gesteiften Pagenkostümen um einen herum und verfolgen gefühlt jede Bewegung. Vor dem Eingang fegt ein eifriger Bediensteter imaginäres Laub beiseite. Ein anderer eilt bei Regen mit einem Schirm herbei, um die Gäste zum Auto oder zum Eingang zu geleiten. Am Frühstückstisch schieben sie einem den Stuhl unter den Po, sie warten vor dem Zimmer, um sich bestätigen zu lassen, dass ihre Aufräumarbeit zufriedenstellend war, und das Feierabendbier präsentieren sie, schräg auf die Handfläche gelehnt, wie bei der Degustation eines edlen Weines. Im Bad gibt es eine Regendusche, auf dem Dach einen Pool, der aufgrund des Monuns aber geschlossen ist, und aus den Lausprechern tönt die Instrumentalversion von "My heart will go on" in Dauerschleife.
Bis gestern hätte ich nicht sagen können, ob ich Pune mag oder nicht, da ich von der Stadt bis dato nicht viel gesehen hatte außer ebendieses Hotel und die Uni. Okay, ich übertreibe. Ich hatte es bereits zum Wäscheservice zwei Querstraßen weiter und auf einen kurzen Spaziergang im Park fünf Straßen weiter geschafft. Und, nicht zu vergessen, auf das offizielle abendliche Willkommens-Diner auf dem Uni-Campus. An sich ein wirklich schönes Gelände, außerhalb der Stadt auf einem Hügel gelegen, weitläufig, ruhig und grün. Nur dass wie immer die Zeit fehlte, um auf eigene Faust herumzustreunern und sich einfach treiben zu lassen. Stärker noch als in Chennai folgt in Pune Programmpunkt auf Programmpunkt, und Ich-Zeit ist rar.

Garten der historischen Festung Shaniwar Wada

Der gestrige Nachmittag war seit Ankunft tatsächlich der erste, an dem die freie Freizeitgestaltung nach Vorlesungsschluss mehrere Stunden umfasste. Ich entschied mich, Pradnya, die Organisatorin des Programms, bei ihrem Wellness-Vorhaben zu begleiten und mir eine dringend notwendige Fußpflege mit integrierter Massage zu gönnen, und anschließend noch ihre Eltern zu besuchen. Auf ihrem Moped fuhren wir rein ins Getümmel und quer durch die Stadt. Eine wahre Freude und ein kleiner Moment des Glücks! Aus der Moped-Beifahrer-Perspektive wirkt der Verkehr leichter überschaubar. Auch wenn es kreuz und quer geht, fließt alles irgendwie ineinander und auf dem Moped schwimmt man fast wie von selbst in dem großen Strom mit (während man als Fußgänger eher die Wirkung eines Wellenbrechers hat). Sollte ich in Kalkutta die notwendige Courage aufbringen, könnte das durchaus das Fortbewegungsmittel meiner Wahl werden.

In jedem Fall waren diese Stunden eine emotionale Wohltat und der lang ersehnte Anstoß dafür, dass sich die Melancholie, die seit Samstag mein ständiger Begleiter war, allmählich verflüchtigte. Neben einer grundsätzlichen hormonellen Verstimmung hat mich auf der Fahrt nach Madurai ein Albtraum emotional komplett aus der Bahn geworfen, die Nasszelle in unserem Hotel ließ mich Bekanntschaft mit dem Boden schließen und seit Anfang der Woche komme ich, um das einmal blumig zu umschreiben, in den Genuss von Elektrolytpulver und Kohletabletten. Getoppt wird das Ganze von den andauernden zwischenmenschlichen Querelen und daraus resultierenden unnötig unschönen Momenten. Immer wieder Sticheleien, Gezeter, Besserwissereien und graue Wolken über den Köpfen. Und vor allem ein Mangel an Empathie. Me, myself and I. Wann sind die Menschen nur derart egozentrisch geworden? Whatever.

Sofern ich nicht gerade ein melancholisches Trauertal durchschreite, versuche ich den letzten Punkt, so gut es geht, auszuklammern und meine Stimmung davon nicht trüben zu lassen. Ich bin in Indien. Drei Monate. Bezahlt. Für Recherchen. Und das allein ist ist grandios! Heute war alle Melancholie dann endgültig vergessen, weil uns ein überaus sympathischer Guide auf einen Rundgang durch die Stadt führte und wir einen wirklich schönen Tag im historischen Zentrum Punes verbracht haben

In der Markthalle Mahatma Phule Mandai

Und nach diesem Tag kann ich sagen: Ja, ich mag Pune. Beziehungsweise, ich konkretisiere: Ich mag Pune bei Sonnenschein. Wenn der Monsun erst einmal vorüber ist, ist das Klima hier sehr viel angenehmer als in Chennai. Weniger warm, weniger feucht, weniger schwitzig. Das Beste daran: Seit fünf Tagen brauche ich keinen Sonnen- oder Mückenschutz mehr. Meine Haut dankt. 

Zusammenstellen meiner individuellen Masala-Gewürzmischung

Den Abend ließen wir dann in entspannter Dreier-Runde in einer Bar ums Eck ausklingen. Wobei "Bar" in Indien soviel bedeutet wie: testosteronüberladene Spelunke im ungewollten Shabby Chic. Als wir die Lokalität unserer Wahl betraten, ebbten die Gespräche für einen kurzen Augenblick ab und alle Augenpaare waren auf uns gerichtet. Durchaus möglich, dass der Grund der Irritation ich war, denn der Männeranteil betrug bis zu unserem Auftauchen 100 Prozent. Einer meiner Mitspipendiaten hat es liebevoll das "Konzept der einsamen Männer" getauft. Männer, die eine Pause von ihrer Frau brauchen. Männer, die keine Frau finden. Männer, die Alkohol vor Frauen lieben. Die Kellner (als Kontrast zum tristen Ambiente allesamt in Hemd, Weste und Fliege gekleidet) freuten sich über den ungewohnten Besuch, wiesen uns mit einem breiten Lächeln einen Tisch in der hinteren Ecke, präsentierten uns das Bier und schenkten es gekonnt ein, ohne auch nur einen Millimeter Schaum entstehen zu lassen. Der etwas beleibte Herr am Nachbartisch rülpste munter vor sich hin, schmierte Kautabak auf seine Zähne und fiel, bei dem Versuch aufzustehen, der Länge nach auf die gegenüberliegende Sitzbank. Mit der Motorik eines Teletubbies schwankte er in Richtung Ausgang und fuhr, wie sein sein Helm vermuten ließ, mit dem Moped nach Hause. Würde er in eine Polizeikontrolle kommen, müsse er, so der Kellner, eine Strafe von 200 Rupien zahlen und die Sache sei vergessen. Knapp drei Euro. Auf die Frage, was denn passiere, wenn er in dem Zustand einen Unfall verursache, lächelte er unsicher, zuckte mit den Schultern und wandte sich ab.

Statt mit einsamen, alkoholisierten Männern möchte ich jedoch lieber mit der Weisheit der Woche enden, die mir in Form meines Tageshoroskops am Donnerstag in die Hände fiel. Nicht dass ich daran glauben würde, aber es passt so wunderbar zu den Gedanken und Gefühlen der vergangenen Tage:

The pressure towards some sort of separation is overwhelming but is so general that it is possible to be specific about what sort of connection you’re going to give up. It may be, for example, that all that is required is a clean break with the bad habits of the past.

Amen!

Kommentare

Beliebte Posts