Warten auf den Baba


Eigentlich hätte ich seit Montag in Kalkutta sein und bei The Hindu arbeiten sollen. So war zumindest einmal der Plan. Dank eines in Aussicht gestellten und mehrfach aufgeschobenen Interviewtermins in Kombination mit (diplomatisch ausgedrückt) interkulturellen Verständigungsschwierigkeiten hänge ich jedoch seit Tagen in Delhi fest. Und warte. Und hake nach. Und hofknickse. Und warte. Anfangs war die Ungewissheit nicht weiter tragisch und ich trotz Wartemodus tiefenentspannt. Immerhin war die Aussicht auf Nichts- beziehungsweise Gemächlich-Tun nach den ersten fünf durchgewirbelten Wochen nicht die schlechteste. Und es ist auch nicht so, dass ich die Zeit sinnlos verstreichen lassen würde. Ich schlafe ausgiebig (ein absolut notwendiger Punkt auf der Prioritätenliste), war bei einem bilateralen Mediendialog in der Deutschen Botschaft, habe mein erstes Paket mit vielen schönen Dingen Richtung Heimat geschickt (eine Wissenschaft für sich, die mich fast einen kompletten Tag gekostet hat), mich dem Sightseeing gewidmet, Menschen meiner Wahl getroffen und potentielle Geschichten anrecherchiert. Darunter eine über einen Mitarbeiter des Gasthauses, in dem ich gerade wohne (Bed&Chaï mit Namen, etwas teurer, aber allein schon aufgrund des sozialen Ansatzes sehr zu empfehlen), und eine über ein Projekt für sehbehinderte Frauen in Delhi. Nichtsdestotrotz stellt sich nach einer knappen Woche des Aufschiebens und Hingehaltenwerdens allmählich eine gewisse Unruhe ein. Die Zeit rast, Ende November rückt näher, und im Kopf tickt die Uhr. Tick. Tack. Tick! Tack! TICK! TACK!

Umso glücklicher und erleichterter war ich, als gestern, nachdem ich schon damit gerechnet hatte, unverrichteter Dinge weiterzureisen, die positive Nachricht kam: Wir fahren nach Haridwar, circa 200 Kilometer nördlich von Delhi am Ganges gelegen, Habitat und Schaffensstätte von Baba Ramdev, der es mit seiner Spiritualität zu zweifelhaftem Ruhm gebracht hat und dessen leicht gruselig anmutendes Konterfei einem im gesamtem Land von etlichen Werbeflächen entgegenschaut (siehe Foto oben). Baba Ramdev, der Yoga-Guru, der seinen Anhängern auf einem seiner beiden Fernsehkanäle gesundheitsfördernde Übungen vorturnt. Gegen Fettleibigkeit zum Beispiel oder zur Heilung von Aids und Homosexualität. Baba Ramdev, der anti-westliche Hindu-Nationalist, der "Best Friend" mit Premierminister Narendra Modi ist. Baba Ramdev, der Geschäftsmann, dessen Kette Patanjali Ayurved Ltd zu den am schnellsten wachsenden Unternehmen Indiens gehört. Umsatz im Geschäftsjahr 2016/17: knapp 1,65 Milliarden US-Dollar. Alles für den wohltätigen Zweck versteht sich und, so möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen, nicht aus wirtschaftlichem Interesse. Und da er so ein vorbildlicher Guru ist, der allem Weltlichen entsagt hat, gehört die Firma auch nicht ihm, sondern zu 98,6 Prozent seinem Freund und Helferlein Acharya Balkrishna, der über die Jahre ein Vermögen von 6,5 Milliarden US-Dollar angehäuft hat und derzeit auf Platz 19 der indischen Forbes-Reichenliste steht. Und alle Beide sehen wir in Haridwar. Das wird ein Spaß!

Der Zug geht morgen um 6.45 Uhr. Treffen am Bahnhof ist um 6.15 Uhr. Abfahrt im Hotel spätestens 5.45 Uhr. Aufstehen ... reden wir nicht davon. Wenn man einmal von der unatheistischen Zeit absieht, freue ich mich sehr auf diesen kleinen Ausflug. Weniger wegen des Interviews, irgendwie ist das gerade zweitrangig, sondern vielmehr wegen der Reise an sich, wegen der Zugfahrt, wegen des Gefühls des Rauskommens (etwas irrational, da das in den drei Monaten Indien je irgendwie ein Dauerzustand ist, aber so fühlt es sich an) und wegen der (hoffentlich) frischeren Luft.

Letzteres wird auch meine Lungen freuen, denn die haben in den zwei Wochen Delhi ein wenig leiden müssen. Smog und Erkältung in tiefer Verbundenheit. Anfangs war alles noch im Rahmen des Erträglichen, aber jeden Tag geht es mit der Luftqualität ein Stück weiter bergab. Einer der indischen Stipendiaten sagte, er könne sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal einen blauen, unverschleierten Himmel gesehen habe. Und an Tagen, an denen die Silhoutte der Häuser hinter einem grauen Feinstaub-Nebel verschwimmt, lässt sich durchaus erahnen, was mit jedem Atemzug in die Lungen wandert. Es gibt eine Zahl, ich erinnere mich leider nicht mehr, woher sie kommt, die besagt: In Delhi zu atmen sei wie das Rauchen von 42 Zigaretten am Tag. Voilà. Und in den nächsten Wochen gibt es diesbezüglich noch einiges an Luft nach unten. Welch fulminantes Wortspiel! Gerade erst haben die Bauern in den umliegenden Dörfern angefangen, ihre Ernteabfälle zu verbrennen, wodurch noch mehr Rauch in die Stadt zieht. Nächste Woche folgen das große hinduistische Lichterfest Diwali und mit ihm millionenfach gezündete Feuerwerkskörper (wobei Mumbai und Delhi zur Smog-Prävention in diesem Jahr tatsächlich erstmals ein Böller-Kaufverbot erlassen haben und dieser Faktor dadurch vielleicht ein wenig abgemildert wird). Und im Winter, als Smog-Sahnehäubchen sozusagen, brennen die offenen Feuer in der Stadt. Zum Heizen. Aber da bin ich zum Glück schon lange weg.

Nachtrag vom Montag, 16. Oktober 2017

Der Baba hat sich nicht blicken lassen. Zu busy. Keine Zeit. Um ehrlich zu sein, hat mich das wenig überrascht. Das ganze Katz-und-Maus-Spielchen im Vorfeld war, so nehme ich an, zu großen Teilen auch eine Form der Machtdemonstration. Wir als kleine, niedere Journalistenwesen auf der einen und der große Guru von Welt auf der anderen Seite. Noch dazu hatten wir es gewagt, den ersten Terminvorschlag auszuschlagen, weil dieser so kurzfristig kam, dass wir von jetzt auf gleich losgemusst hätten und mitten in der Nacht angekommen wären. Vielleicht war das nun die finale Retourkutsche. Am erheiterndsten fand ich, dass heute Morgen ein Anruf vom Assistenten kam und er uns mitteilte, dass wir heute, wenn wir denn wöllten, Baba Ramdev treffen könnten. Dabei weiß er ziemlich genau, dass wir noch am Sonntag wieder abgereist sind. Welch Kindergarten.

Mit Mr. Shah im Patanjali-Kräutergarten

Aber es war auch nicht alles schlecht und der Tag dennoch interessant. Nachdem wir anderthalb Stunden auf Acharya Balkrishna gewartet hatten, konnten wir zumindest eine zeitlang mit ihm plaudern, bekamen als Gastgeschenk sein Buch "Das Wissen vom Ayurveda. Leben in Balance" (in Berlin einsehbar ab Ende 2017) und zum Schluss noch eine Tasche randvoll mit Patanjali-Produkten. Räucherstäbchen, Knabberzeug, Seifen, Salben, Cremes und noch mehr Bücher. Nach dem Interview haben wir mit seinem Assistenten zu Mittag gegessen (was tatsächlich sehr bekömmlich war), der uns frei heraus von seiner Vergangenheit als kickender Junge in einem Dorf-Fußballteam namens SS erzählte (mit der Swastika als Vereinssymbol), wurden dann durch das ayurvedische Labor geführt, das wohl größte der Welt, das in diesem Jahr seinen Betrieb aufgenommen hat, sind durch das entstehende Museum über Heilpflanzen geschlendert (mit 65.000 handgemalten Schautafeln, tatsächlich schön und tatsächlich beeindruckend) und haben zum Schluss noch eine Runde im Kräutergarten gedreht. All das, die Forschung und die Heilkunde, könnte so gut sein. Wären da nicht diese vielen "Aber".

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