In der Stadt der Freude


Es war Schriftsteller Dominique Lapierre, der Kalkutta mit seinem Roman zu seinem Beinamen verhalf: La Cité de la Joie. Die Stadt der Freude. Gern würde ich an dieser Stelle sagen, dass dieses Attribut auf meine ersten zwei Wochen hier zutrifft. Tut es leider nicht. Beziehungsweise nur mit Abstrichen. Hätte ich diesen Beitrag, wie ich es ursprünglich vorhatte, am Wochenende geschrieben, wäre er vermutlich sehr viel positiver ausgefallen. Auch gestern noch. Heute jedoch ist meine Laune spontan in die abgelegenste Ecke des Kellers gerutscht, als ich feststellen musste, dass meine Visa-Karte seit etwa zwei Wochen ohne mein Wissen und Zutun zum Einsatz kommt und bis zum Limit ausgereizt wurde. Mein Gehirn befand sich daraufhin für den Rest des Tages im Schockmodus und versuchte herauszufinden, was in diesem Fall das klügste Vorgehen sei. Zum Glück habe ich überaus liebenswerte Kollegen, die mir das Denken abgenommen haben, mich davon überzeugten, zur Polizei zu gehen und mich auch dorthin begleiteten. Das war größtenteils auch mein Tageswerk. Zu wesentlich mehr war das Gehirn nicht mehr in der Lage. Abgesehen vom Einkaufen – Schokolade, Kekse und Anti-Stress-Kräutertee. Grundbedürfnisse nach einem Tag wie diesen. Wie furchtbar übrigens, dass ich diesen Ausdruck nicht mehr verwenden kann, ohne direkt die Toten Hosen im Gehörgang zu haben. Meine absolute Lieblingsband ... nicht. Das nur als nebensächliche Erkenntnis am Rande.



Was mich bereits wieder positiv stimmt, ist, dass der Schockmodus merklich einem gewissen Pragmatismus weicht. Für ein Dach über dem Kopf ist gesorgt, das Bargeld, das ich noch habe, wird, sofern ich nicht in einen unerwarteten Shoppingrausch gerate, mindestens bis zum Wochenende reichen, für die Zeit danach habe ich einen Notgroschen, den ich ohne großen Aufwand in Rupien umtauschen kann, es haben sich bereits etliche Menschen angeboten, mir Geld zu leihen und Flüge oder Zugtickets für mich zu buchen, und für den allergrößten Notfall gibt es immer noch Western Union, deren Gebühr zu meinem Erstaunen und zu meiner Freude sehr viel geringer ist, als ich dachte. Drei Euro, wenn die Vorab-Kalkulation stimmt. Ein Schnäppchen quasi. Kurz: Ich werde es überleben. Und über den Verlust des Geldes komme ich auch hinweg, wenn ich erst einmal ein paar Nächte in mein Kissen geweint habe. Vielleicht haftet sogar die Bank. Das wäre das allergrößte Glück. Wir werden sehen.

Zu Kalkutta selbst schreibe ich dennoch ein andern Mal mehr. Meine Stimmung würde mein Bild auf die Stadt nur unnötig trüben. Was wiederum den letzten Wochen nicht gerecht würde, denn es gab natürlich auch sehr viel Schönes. Und Freude, über die ich gern bei Gelegenheit berichte. Und zum Ende für all diejenigen, die sich bereits gefragt haben, was die gewählten Bilder mit dem Ganzen zu tun haben: Die Aufnahmen stammen allesamt vom Lichterfest Diwali, das in Kalkutta mit der Kali-Puja zusammenfällt, einem Fest zu Ehren der Göttin der Zerstörung (die Dame mit der blinkenden Zunge oben im Bild, die im Übrigen Günter Grass zu seinem Buchtitel "Zunge zeigen" inspirierte). Es symbolisiert den Sieg von Licht über Schatten, von Gut über Böse. Ich empfand das als ein treffliches Resumée. Und als einen aufbauenden Gedanken, um sich in die Nacht zu verabschieden. Die Freude kommt mit Sonnenaufgang.

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