Der Mumbai Running Club


Mumbai ist das, was wir (das sind ein Mitstreiter und ich) bereits zu Beginn unserer Reise liebevoll die Feinjustierung des Luxus getauft haben. Während Menschen ohne Obdach um einen herum ungeschützt auf dem Boden schlafen, philosophiert man am Frühstückstisch über die Temperatur des Tees oder ähnlich Triviales. Es ist unglaublich bis erschreckend, wie oft man (in dem Fall ich) die allgegenwärtige Armut einfach ausblendet (vielleicht auch ein psychologischer Automatismus, um nicht vollends an der Welt zu verzweifeln) und wie schnell man sich, allem Sträuben und inneren Auflehnen zum Trotz, an solch einen Standard doch gewöhnen kann. An die fünf Kissen auf dem Bett, die kein Mensch braucht, aber bequem sind sie trotzdem, an das individualisierte, frisch gebratene Omelett zum Frühstück und die kostenlosen Gadgets im Badezimmer. Ich befürchte fast, dass der Kulturschock nach Ende dieser Luxus-Phase größer sein wird als an den ersten Tagen in Chennai.

Dachterrasse unseres Hotels

Außerhalb des Hotel-Dunstkreises und ohne den Schutz der Scheuklappen sind die Gegensätze in Mumbai sehr viel augenscheinlicher und extremer als in allen anderen Städten zuvor. Auf der Fahrt über den Rajiv Gandhi Sea Link etwa zeigt sich ein Bild bunter, leicht windschiefer Behausungen vor der Skyline moderner, grau-glänzender Wolkenkratzer. Für die Reichen und Elitären der Stadt gibt es Vereinigungen wie den Cricket Club of India (eine Organisation ähnlich wie die Fifa, nur mit noch mehr Geld und noch mehr Prestige) oder den Royal Willingdon Sports Club (seines Zeichens der exklusivste private Sportclub Mumbais, der hauptsächlich dem alten Geldadel plus Anhang vorbehalten ist), und es gibt Orte wie das Taj Mahal Palace, einem an ein Schloss erinnerndes Luxushotel, das bereits Stars wie John Lennon und Yoko Ono, Brangelina und die Obamas zu seinen Gästen zählte und in dem wir mit Buffet und Wein den Wahlabend in Deutschland verfolgen durften.

Back to Colonial Times: das Taj Mahal Palace

Parallel dazu gibt es in Mumbai an die 2.000 Slums, in denen etwa die Hälfte der Einwohner lebt (über den genauen Anteil scheiden sich die Geister). Der größte mit bis zu 1,5 Millionen Menschen auf zwei Quadratkilometern ist Dharavi, auch bekannt durch den Film "Slumdog Millionaire". Wobei man der Vollständigkeit halber sagen muss, dass das Wort "Slum" in Indien zunächst einmal nur für informelle Wohnungen und Häuser steht und nicht zwangsläufig mit extremer Armut gleichzusetzen ist. In der Theorie kann auch eine auf öffentlichem Boden illegal errichtete Villa ein Slum sein. So zumindest erklärte es unser Guide, der uns am Freitagmorgen durch Dharavi führte.

Für den möglichen "Wohlstand" in Slums ist Dharavi wohl das beste Beispiel. Denn der Stadtteil ist neben seiner Größe auch für seine Wirtschaftskraft bekannt. Pro Jahr werden hier etwa eine Milliarde US-Dollar umgesetzt (die genaue Höhe lässt sich schwerlich schätzen, weil alle Einnahmen am Fiskus vorbeilaufen). Das Gros davon mit Recycling, Leder- und Töpferwaren. Das Wörtchen Wohlstand ist aber nicht ohne Grund in Anführungszeichen gesetzt, denn nach wie vor entbehrt das Leben hier vieles, was wir aus westlicher Sicht als Standard bezeichnen. Sanitäre Anlagen zum Beispiel. Auf 1.500 Menschen kommt etwa eine Toilette. Alles andere ist per Gesetz verboten, da es sich um inoffizielle Behausungen handelt. Oder Abwasserleitungen. Was sich spätestens in der Monsunzeit bemerkbar macht, wenn sämtlicher Müll und Exkremente durch die Unmengen an Regen aufgeschwemmt und durch die Straßen gespült werden. Wir hatten das Glück, dass am Morgen unseres Besuchs der Regen erneut einsetzte, aber das noch viel größere Glück (und das ist ganz und gar ernst gemeint), dass er just vor Ankunft stoppte.

Aber ich schweife ab. Wie ich eigentlich darauf komme und worauf ich ich die ganze Zeit hinaus wollte: Etwa 13 Kilometer von Dharavi entfernt lebt der reichste Mann Asiens (Mukesh Ambani sein Name, geschätztes Vermögen knapp 38 Millarden US-Dollar) zusammen mit seiner (wohl) fünfköpfigen Familie auf bescheidenen 37.000 Quadratmetern im größten und teuersten Einfamilienhaus der Welt (Name: Antilia, Baukosten laut Forbes: zwischen 1 und 2 Milliarden US-Dollar). Nur zum Vergleich: Das macht etwa 7.400 Quadratmeter pro Mensch im 27-Stockwerke-Türmchen versus etwa zwei Quadratmeter pro Mensch im Slum nebenan. Ich übernehme keine Gewähr für die Genauigkeit der Rechnung, aber ich denke, die Botschaft ist klar.

Und nun, liebe Freunde des maximal gespannten Spannungsbogens, kommt die lang ersehnte Überleitung zur Überschrift dieses Beitrags: der Mumbai Running Club (im Übrigen eine Reminiszenz an vergangene Ferien in Suevres). Jeden Tag vor dem Aufstehen versammeln sich die unterschiedlichsten Menschen zum Joggen oder jogging-ähnlichem Gehen an der Mumbaier Uferpromenade. Fitte und weniger Fitte, Menschen im neonfarbenen Sportoutfit und Menschen in traditioneller Kurta, Frauen in einer Kombination aus Joggingschuh und Burka, Menschen in zerrissenen Sachen und ohne Schuh. Und inmitten dieses heterogenen Gewirrs trafen wir, als wir uns des Morgens entschlossen, etwas gegen die Völlerei und Lethargie der letzten Tage zu unternehmen, ebenjenen Superreichen. Beziehungsweise traf ich ihn nicht wirklich, sondern rannte achtlos an ihm vorbei, weil ich anscheinend zu sehr auf meinen Endspurt konzertriert war. Aber er war es. Ganz sicher. Laut Pradnya lief er mit einem Gefolge aus zwei Bodyguards, zwei Personal Trainern und einem Polizei-Auto den Marine Drive entlang. Ich kann also nun voller Stolz von mir behaupten, dass ich, ohne es zu merken, den reichsten Mann Asiens beim Joggen traf. Wenn das mal kein Stoff für eine Autobiografie ist.

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